Ist schon alles Werbung?
Wer in der Werbebranche arbeitet, hat nie Feierabend. Das musste ich erst gestern wieder erfahren, als ich mich einfach nur mit einem kühlen Bier auf mein altes Wohnzimmersofa schmeißen wollte, um für ein Stündchen in die Glotze zu starren. Endlich mal ein bisschen abschalten. Von wegen! Beim Anblick des goldgelb leuchtenden Gebräus in meinem Glas schossen mir Bilder von Trenchcoat-Typen durch den Kopf, die sich am Strand rücklings in den Dünensand fallen lassen. Szenen mit gestylten Zeitgeist-Abenteurern, die auf einem allseits bekannten Schiff „away“ segeln. Dazu dann noch der Spruch: „Nur anschauen. Nicht anfassen.“ Oder so ähnlich. Doch kann ich all die Bilder und Worte, die sich schon beim Trigger „Goldgelb“ in meinen Gedanken breit machen, wirklich noch den richtigen Produkten zuordnen? Ich mache die Probe aufs Exempel: meine Trefferquote ist beschämend. Woran liegt´s?
Als ich noch ein Kind war, kam mir die Werbewelt klar definiert vor: Anzeigen mit hübschen Bildchen in Zeitschriften. Clementine mit ihrem Waschmittel im Fernsehen. Der Marlboro-Mann auf der Plakatwand. Heute hingegen scheint alles Werbung zu sein – der Klingelton zum Kinospot zum Kinofilm mit der Automarke, die der Held fährt, zur Kinowerbung für das Computerspiel zur Fußballweltmeisterschaft mit der Bandenwerbung und dem Vereins-Sponsor-Logo auf den Trikots zur exklusiven Biermarke des Events im Easycredit-Stadion neben der Arena, der Heimstatt der Sinupret Ice Tigers …
… und während ich dies schreibe, blinken mich in meinem Browser-Fenster diverse Banner an (keine Ahnung für was). Ich klicke mehrere Pop-Up-Werbungen weg, um endlich mal in Ruhe lesen zu können. Gleichzeitig posiert in den angeblich so neutralen TV-Nachrichten ein namhafter Politiker vor einem Auto, dessen Hersteller aufgrund der Finanzkrise akut vom Konkurs bedroht ist …
Werbung durchdringt heute alle Lebensbereiche. Das macht es schwer, den Überblick zu behalten. Wer heute noch Aufmerksamkeit erregen will, muss sich was Besonderes einfallen lassen – wie ein nerviges Schreikind, das einem die Milchprodukte nur so auf die Ohren knallt. Oder eben Guerilla-Marketing, das Zauberwort der letzten Jahre. Das kann gut gehen, wie bei einer Werbung für eine Wohltätigkeitsaktion. Dort tauchte in einer Live-Nachrichtensendung regelmäßig ein Mensch auf, um sich ein Glas Wasser zu klauen. Die Spendengelder flossen in Strömen, weil das Ganze sympathisch, witzig und abgefahren umgesetzt war. Oder die Guerilla-Aktion geht gründlich daneben, weil sie keiner versteht – wenn beispielsweise eigens für eine Kampagne kreierte Fake-Internetseiten so „echt“ wirken, dass dem User der eigentliche Zweck niemals klar wird.
Überhaupt: der Übergang zwischen Realität und Werbung ist bereits manchmal derart fließend, dass einem fast schon mulmig werden kann. Wenn beispielsweise mitten in einer mitternächtlichen Verkaufsaktion für ein Kult-Computerspiel das blutüberströmte Opfer eines Mordanschlags durch die Menschenmenge torkelt und alle das zunächst für einen Werbe-Gag halten.
Aber mal ehrlich: Sind wir nicht alle schon ein bisschen Werbung? Mit dem coolen Jägermeister-T-Shirt. Mit der roten Ferrari-Baseball-Kappe. Mit all den Claims, die schon den Weg in unsere Alltagssprache gefunden haben.
Lebst du noch oder wirbst du schon? Ich bin doch nicht blöd!
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